
In Stein verewigter Krieg
Beobachtungen und Reflexionen
LOTHAR Eissmann
Erinnerungen
Wenn immer ich im Boden oder auf festem Gestein auf unmittelbare Zeugen des Bombenkrieges stoße, sei es in den Wänden der Braunkohlentagebaue und Sandgruben, auf den Flussauen und Endmoränen, auf Gehwegplatten und Pflastersteinen, auf Sandstein- und Granitquadern unsererBauwerke, und dann gar zum wiederholten Male den Versuch unternehme, die Beobachtungen zu Papier zu bringen, werden bedrückende Erinnerungen wach, und das, obgleich meine Nächsten und ich selbst Gott sei Dank die unmittelbaren Wirkungen des Krieges nur am Rande, im weitgehend verschont geblieben oder erst in den letzten Wochen vom direkten Kriegsgeschehen heimgesuchten Erzgebirge erlebt habe.
Ich kann daher nicht umhin, diesem kleinen Betrag einige persönliche Reminiszenzen und Reflexionen voranzustellen. Sie sind zumindest insofern zu rechtfertigen, als sie bewusst oder unbewusst der eigentliche Grund sind, die mitzuteilenden Beobachtungen über rund vierzig Jahre nicht aus dem Auge verloren zu haben.
In den für Neues, Gutes, Schönes und Wahres sensibelsten und aufnahmefähigsten Kinderjahren zwischen 8 und 14, in denen uns Kriegskinder die noch nicht „eingezogenen“ meist älteren Lehrer, die schon im ersten Weltkrieg als Soldaten gedient hatten, aus oft eigenem Erleben beredt, farbig und eindringlich und mit noch recht archaischer Schmalfilmtechnik auf „verschneiten“ Schwarz-Weiß-Filmen, aber auch ersten farbigen Diafilmen, an die ich mich mit besonderer Lebhaftigkeit erinnere, Mitteleuropa, seine Landschaften, Städte, Menschen und Kultur nahezubringen versuchten, mit Vaterlandsliebe wohl, aber oft weit entfernt vom offiziellen Geist dieser Jahre, zog sich nach einer Etappe der Expansion der Ring der militärischen Fronten der Alliierten täglich enger um Deutschland, bis er das Land endlich selbst erreichte und im Inneren in vielfacher Vergeltung eine Stadt nach der anderen im Bombenhagel unterging. Damals wurden vor allem von Lehrern und interessierten Schülern der sich rasch ändernde Frontverlauf nach Radio- und Zeitungsmeldungen auf Landkarten mit kleinen Fähnchen und die nun wirklich „ausradierten“ Städte mit Farbe oder einem Kreuz markiert.
Gegen Ende 1944 waren die meisten bedeutenden Städte „angekreuzt“, durchaus aber nicht alle. Im Winter von 1944 zu 1945 und im folgenden Frühjahr erschienen an helllichten, sonnenklaren Tagen, wir sprachen damals (wie heute) bei gutem Wetter von „Flugwetter“, von „Flugtagen“, mitunter viele hundert viermotorige Bomber und sogenannte Fliegende Festungen; einmal zählte ich an einem Sonntagvormittag über 500, doch können es doppelt soviel gewesen sein. Meist völlig unbehelligt und damals wohl auch in unerreichbarer Höhe zogen sie wie in einem Manöver aus Richtung Bayern über das Vogtland und das westliche Erzgebirge nach Norden und Osten. Der in wenigen Minuten später für Hunderte, ja Tausende totbringende Ernst in 8 oder 10 km Höhe sah sich vom Boden aus wie ein Kriegsspiel an. Noch sehe ich vor mir die an den Himmel gewebten kilometerbreiten Bänder aus weißen Kondensstreifen.
Jedem Pulk folgte ein Regen aus, wie wir Kinder sagten, „Silberpapier“, Leichtmetallstreifen zur Störung des Funkbetriebes. Auf den Ausgang des Krieges hatten die Angriffe seit 1944 keinen Einfluss mehr. Schon war Deutschland von den künftigen Siegermächten in Besatzungszonen aufgeteilt, die sogar abgedruckt in Zeitungen er schienen, und manch einer der cleveren und begünstigteren Zeitgenossen…

Bombentrichter im Leipziger Ratsholz westlich der Schwarzen Brücke. Ende Februar 1997